Übersprungshandlungen
Was sind Übersprungshandlungen?
Der Ethologe Nikolaas Tinbergen hat Übersprungshandlungen wie folgt definiert:
”Eine Übersprungshandlung ist ein Verhalten als Ausdruck eines Konfliktes zwischen zwei Instinkten. Deswegen ist die Fortführung des zuvor beobachtbaren Instinktverhaltens zeitweise nicht möglich und stattdessen wird eine Verhaltensweise gezeigt, die aus einem völlig anderen Funktionskreis des Verhaltensrepertoires stammt.”
Übersprungshandlungen werden also immer dann gezeigt, wenn der Hund sich in einem inneren Konflikt befindet, er also sein ursprüngliches Vorhaben nicht beenden kann oder darf.
Durch diese Ersatzhandlungen gewinnt der Hund Zeit, kann sich sammeln und beruhigen und überlegen, wie er sich weiter verhalten möchte. Übersprungshandlungen erkennst du daran, dass das Verhalten des Hundes plötzlich völlig aus dem Zusammenhang gerissen erscheint z.B. rennt der Hund los, stoppt abrupt und beginnt sich zu kratzen.
Auch wir Menschen zeigen übrigens Übersprungshandlungen wie z.B. das Kratzen am Kopf, wenn wir unsicher sind und gerade nicht weiterwissen. Alle Hunde zeigen Übersprungshandlungen und diese gehören zum normalen Verhalten eines Hundes, sollten aber nicht zu häufig und ständig gezeigt werden, dann sollte vom Halter eingegriffen werden.
Theoretisch kann jede Handlung zu einer Übersprungshandlung werden. Es gibt auch Übersprungshandlungen die von bestimmten Rassen eher gezeigt werden als von anderen. Retrieverrassen werden z.B. eher etwas durch die Gegend tragen, als es Windhunde z.B. tun würden.
Viele Hundehalter erkennen die Übersprungshandlungen nicht und werten diesen abrupten Abbruch des Kommandos als Fehlverhalten des Hundes, woraufhin sie ihn bestrafen, obwohl der Hund gerade versucht eine für ihn stressige Situation zu meistern. Im schlimmsten Fall kann der Hund diese Situation gar nicht mehr bewältigen und es können ernsthafte Verhaltens- oder Gesundheitsprobleme entstehen.
Typische Übersprungshandlungen sind:
- Bellen
- sich am Ohr / Hals kratzen
- sich schütteln
- niesen
- gähnen
- lecken
- aufreiten
- urinieren
- wie wild umherrennen
- scharren
- wälzen
- ständiges Wassertrinken
- Dinge umhertragen
- Zerstörungswut
Warum zeigen einige Hunde häufiger Übersprungshandlungen als andere?
Hunde werden in ihrem Leben von vielen Einflüssen geprägt. Dazu gehört zunächst die Genetik, die der Hund von den Elterntieren mitbekommen hat. Der Welpe lernt in der Prägungs- und Sozialisierungsphase das Verhalten seiner Mutter. Ist die Mutter also bereits etwas unsicherer und zeigt vermehrt Übersprungshandlungen, wird auch der Welpe dieses Verhalten übernehmen. Auch das Verhalten des Besitzers und das generelle Umfeld des Hundes hat Auswirkungen auf den einzelnen Hund.
Typische Übersprungshandlungen
Übersprungshandlungen sind vom Halter nicht einfach zu erkennen. Viele Hunde zeigen aber bevorzugte Übersprungshandlungen, die es dem Halter vereinfachen zu erkennen, dass der Hund gerade einen Konflikt löst.
Offensichtliche Übersprungshandlungen sind die folgenden:
Bellen
Bellen wird häufig genutzt, um aus Konfliktsituationen herauszukommen, z.B. wird der Postbote verbellt, wenn der Hund nicht zu ihm hin darf. Der Hund bellt aus tiefstem Herzen und beruhigt sich nicht mehr. Dieses Verhalten erscheint als völlig unangemessen.
Wichtig zu wissen ist, dass nicht jedes Bellen gleich eine Übersprungshandlung ist.
Sich schütteln
Sich schütteln kann natürlich auch mehrere Ursachen haben. Oft zeigen Aussies dieses Verhalten, wenn man sie aus der Hundebox lässt oder wenn sie aus dem Auto aussteigen und kurz vor ihrem Spaziergang stehen.
Kratzen / Lecken
Hunde können auch Verhaltensweisen aus dem Fellpflegebereich als Übersprungshandlung zeigen. Meine Hündin Josie zeigt z.B. eine solche Handlung, wenn sie zu uns auf Sofa kommt und wir sie streicheln, dann beginnt sie ganz plötzlich das Fell an ihren Flanken zu bekauen.
Es kann also auch positiver Stress zu Übersprungshandlungen führen. Wenn du nach Hause kommst, zeigen die Hunde neben der überschwänglichen Freude auch oft ein sich plötzliches Hinsetzen und am Ohr oder Hals kratzen, um dann sofort wieder aufzuspringen und sich weiter zu freuen.
Zerstörungswut
Zerstörungswut zeigen Hunde mit extremen Verlustängsten. Wenn der Halter die Wohnung oder den Raum verlassen hat, beginnen die Hunde oft die Tür oder die Wand neben der Tür zu beschädigen oder leben sich an der sonstigen Einrichtung aus.
Losrennen / unkontrolliertes Toben
Losrennen, als wäre der Hund von der Tarantel gestochen worden, ist gerade beim Aussie auch eine typische Übersprungshandlung. Oft entlädt sich dieser Stress, wenn der Hund nicht einen anderen Hund begrüßen durfte. Sobald du ihn dann ableinst, rennt er plötzlich los und stoppt abrupt wieder, wenn er seinen Konflikt ausgetragen hat.
Was tun, wenn der Hund Übersprungshandlungen zeigt?
Wenn der Hund Übersprungshandlungen zeigt, ist dies zunächst einmal nicht schlimm und hilft dem Hund seinen Konflikt zu lösen.
Wechselt der Hund allerdings von einer Übersprungshandlung in die andere oder zeigt immer wieder schnell hintereinander dieselbe Handlung, sollte dem Hund geholfen werden, weil sich die Übersprungshandlungen sonst ritualisieren und immer wieder gezeigt werden. Du solltest die Übersprungshandlung z.B. Kratzen unterbrechen und ihm ein Ersatzverhalten anbieten z.B. Suchen eines Leckerlis. Wichtig sind leichte Aufgaben, da der Hund zu gestresst ist, um komplizierte Tricks auszuführen.
Es kann auch helfen dem Hund körperliche Nähe und Geborgenheit anzubieten oder die Situation mit dem Hund zu verlassen.
Wenn dein Hund aggressives Verhalten zeigt z.B. Beißen, dann solltest du zusammen mit einem geeigneten Hundeverhaltensberater an dem Problem arbeiten und dies auf keinen Fall auf die leichte Schulter nehmen. Als ersten Schritt solltest du deinem Hund das Tragen eines Maulkorbes antrainieren, damit er keinen Schaden anrichten kann und seinen Konflikt nicht mit dem Beißen eines Menschen oder Artgenossen als gelöst betrachtet, weil er dieses Verhalten dann immer wieder zeigen wird.